Text zu den Arbeiten von Hans Schoberer (nathloskunst)
Lässt man die römisch-katholische Geschichte des Kreuzestod Jesu Christi beiseite, wie kann dann die Identifikation mit der Figur am Kreuz interpretiert werden? Zum einen ist für mich dieses „Ausgespannt sein“ des Menschen in alle Richtungen markant, zum anderen die damit verbundene Position des Ausgesetzt seins dem Urteil und Spott anderer.
Die älteste bekannte Kreuzesdarstellung ist an den Mauern einer Erziehungsanstalt am römischen Palatin gefunden worden. Es ist diese Ritzzeichnung, die den Anfang der christlichen Ikonographie und damit der westlichen Kunstgeschichtsschreibung markiert. Das sogenannte Alexamenos Graffiti aus der Zeit von 123 bis 126 nach unserer Zeit zeigt den gekreuzigten Jesus Christi mit Eselskopf. Daneben steht ein Mann, der seine Hände wie zum Gebet gehoben hat. Die karikierende Grafik, so nimmt man an, wurde von einem römischen Soldaten angefertigt um seinen Kameraden, Alexamenos, zu verspotteten weil er Anhänger der damals neuen Religion, des Christentums, war und zu einem Gekreuzigten betete.
Sollte es uns nicht zu denken geben, dass knapp 2000 Jahre später die Szene um dieses Spottkruzifix aktueller denn je ist? Wie oft ist einem das eigene Weltbild wahrer als das der anderen! Wie schnell sind wir mit Kritik und Urteil, wenn die Lebenskonzepte anderer nicht mit unseren deckungsgleich sind! Wie verächtlich können wir werden, wenn wir Menschen beobachten, die sich frei machen von Normierungen und Effizienzstreben, Leistungsdenken und Rationalisierungsdruck. Wie leicht fühlen wir uns bedroht, wenn jemand sich seine eigene Wege und Praktiken sucht, nach denen er das Leben lebt. An die Herausforderung, andere und anderes, uns fremdes und irritierendes zu respektieren und Vielfalt als Bereicherung zu erleben, kann uns „bin i am kreuz“ erinnern.
Die Form des Kreuzes, das der Körper des Gekreuzigten reflektiert, dieses ausgespannt sein des Menschen in alle Richtungen, versinnbildlicht eine der Grundkonstitutionen des menschlichen Seins: Wir haben in Raum und Zeit zu leben. Wenn wir leben wollen, gibt es keine andere Option außer in diesem Fadenkreuz — zwischen Himmel und Erde und zwischen Vergangenheit und Zukunft. Auf dieses existentialistische „in die Welt geworfen sein“, in dieses Koordinatensystem aus Erfahrungen und Hoffnungen, Ängsten und Bedürfnissen und die Spannung resultierend aus Körper und Geist, verweist die Form des Kreuzes. An die Herausforderung, dass es an uns liegt, ob wir jammern, ob all dieser Ungerechtigkeiten und Mühseligkeiten oder ob wir uns sagen, „Na gut, wenn ich nun schon mal da bin, dann werd‘ ich fröhlich sein und genießen und …“, daran kann uns „bin i am kreuz“ erinnern.
Andrea Fröhlich, Juli 2015