Wer sucht, der findet: Alte Spuren neue Wege!
„Die Ausstellung ist im Kopf,
und ist sie nicht im Kopf,
dann ist sie nirgendwo“frei nach Andre Heller
Wie treffend der Titel der heurigen Landesausstellung gewählt ist, wurde mir heute bei meinem Besuch im Brauhaus erst in vollem Ausmaß vor Augen geführt. Erstaunt war ich über das offene, unkonventionelle Konzept der Umsetzung.
Am Anfang
Im Untergeschoß habe ich, gelenkt vom Blick in das edle, hohe Kreuzgratgewölbe, am „falschen“ Ende der Ausstellung begonnen. Fledermäuse werden vorgestellt. Fieberhaft versuche ich einen Konnex zu zwischen dem Titel „Alte Spuren neue Wege“ und den Fledermäusen zu finden, da erwischt mich der Herr, der Saalaufsicht leistet und will mir das 3D-Video der Fledermäuse schmackhaft machen. „Sowas haben sie no net g’sehn!“ Ich lehnte danken ab, frage, ob das der Beginn der Ausstellung ist und verabschiede mich. In der Erwartung, dass eines Textes, der mit das Konzept und die Intention der Ausstellung umreißt, wähle ich planmäßigen Eingang. Auf einer Panoramaprojektion schwimmt eine computergenerierte Nixe von links nach rechts und retour. Mühlviertler Urgesteinswasser? Freistädter Märchenwelten? Die Figur einer böhmischen Sagenfigur, von der ich bisher nichts gehört habe? Alte Spuren neue Wege? Ein Plädoyer für „sich treiben lassen wie eine Nixe im Wasser“? Kein allgemeiner Ausstellungstext, dafür gerade aus vor mir die Texttafel mit der Nummer 3. Ich zögere. Bin ich hier falsch? Bin ich am offiziellen, markierten Anfang vorbeigelaufen? Erst Fledermäuse, dann eine Nixe und jetzt die Nummer 3. Wie heißt das Spiel, „Schatzsucher unterwegs“ oder „Auf falscher Fährte“. Mit einem Mal ist mir klar: Der Titel ist Programm! Die Ausstellungsmacher wollen wohl vermeiden, dass ich als Besucherin schon im Vorfeld zu eng denke, dass ich meine Gedanken fokussiere und einschränke. Sie wollen, dass sich die Besucherinnen herausgefordert fühlen, ihre eigenen neuen Wege zwischen dem ausgestreuten Kraut und den Rüben zu finden. Mein Forscherinneninstinkt ist geweckt. Gibt es eine Kiste Bier zu gewinnen?
Der Beginn ist links in einem kleinen Nebenraum. Ein Aquarell von St. Oswald bei Freistadt – eine neue Spur – aber wohin? Erfahrungsgemäß sind Saaltexte zur Orientierung gemacht. Hier der Titel Besiedlung. Es wird allerdings der gemeinsame, durchmischte Sprachraum in groben Zügen abgehandelt. Zur Sprache finde ich nichts im Raum, dafür das Modell eines Dreiseithofes, das bereits 1988 im Schloß Weinberg ausgestellt war, weitere Aquarelle von Ortsansichten, eine typografische Karte, die das Gebiet von ganz OÖ und darüber hinaus zeigt. Eine Vitrine, in der sich ein Kunsthandwerksobjekt, ein Bleistiftzeichnung, eine Modellfiguren-Szene und ein Pflanzenpräparat nebeneinander tummeln. Hier kommt mir das erste Mal der Verdacht, dass Mark Dion als Berater zur Ausstellungsgestaltung involviert war. Dion ist bekannt für sein Nebeneinanderstellen von natürlichen, wissenschaftlichen und künstlerischen – gegen jegliche taxonomische Bestrebungen. Alte Spuren neue Wege. Ich versuche schlau zu werden und den roten Faden zu finden, den die Ausstellungsmacher wohl ganz gefinkelt, sehr subtil, ausgelegt haben. Nach welchem Konzept von Kuratur haben sie gearbeitet „der Kurator als Meta-Künstler“, „der Kurator als Vermittler“ oder doch „der Kurator als Produzent“. Ich vermute, da steckt mehr dahinter. Vielleicht bringen mich die Schlagworte der Saaltexte auf eine fruchtbare Spur. Der erste Begriff (Texttafel Nummer 1 – 2) war Besiedelung – im Raum gab es konservierte Pflanzen, präparierte Tiere, Tiermodelle, Aquarelle, topographische Karten und Gestein. Noch tappe ich im Dunklen. Über der nicht zu übersehenden Texttafel mit der Nummer drei ist Südböhmen zu lesen. Der Text handelt von Granit und Gneis – bezieht sich inhaltlich also auf die geologische Karte im Raum davor. Im Raum gibt es Pflanzen, präparierte Tiere, Tiermodelle, Aquarelle, historische Karten und ein interaktive – aber wie? – Modell der Geographie der Region. Gleich neben dem Text befindet sich ein mehrere Quadratmeter großes Ölgemälde eines gewichtigen Herrn. Vielleicht war er der erste Geologe der Region oder war Herr über die größte Glyptothek der Region. Am Textschild stand keine Information die mir Anhaltspunkte geben konnte. Nach welcher geheimen Struktur haben die Ausstellungsmacherinnen diese Spuren angeordnet? Im Raum befindet sich eine Audio-Schnecke. Eine Ton-Spur lässt ein Wildschwein die ersten Takte der Oberösterreichischen Landeshymne erklingen. Weiter Spuren sind die von Tieren. Man kann raten – ein Rätsel innerhalb der gesamten Schnitzeljagd. Wie bereits gesagt, die Ausstellungsmacher denken vielschichtig! Ich merke, ohne den Überblick über die gesamten zehn Schlagworte, die die Ausstellung gliedern, bin ich hoffnungslos orientierungslos.
Von 1 bis 10
Ich notiere mir die Schlagworte, die durch die Ausstellung leiten / sollen, um mir eine Übersicht zu verschaffen:
1+2) Besiedelung
3) Südböhmen
4) Brauen
5) Leben
6) Handel
7) Bierheilige
8) Bier
9) Essen
10) Grenzenlos
Bringt mich das weiter? Besiedelung – eine historisch, geographische Frage; Südböhmen – eine Region – zu der auch das Mühlviertel gehört?; Brauen – eine alte Handwerkstechnik; Leben – ja, leben oder Leben?; Brauen passt zu Bier, Bier passt zu Essen, die Besiedelung von Südböhmen; grenzenloser Handel – vielleicht geht es um Globalisierung?; Bierheilige – oder doch um lokale Helden? Wer zwischen den Begriffen einen roten Faden, eine Geschichte er/findet gewinnt. Eine Kiste Bier.
Soll ich mich unauffällig der eben hereinkommenden Seniorengruppe anschließen?
Ich muss feststellen, die Ausstellungsmacher arbeiten gefinkelt, denken vielschichtiger, als ich es bisher von anderen kuratierten Ausstellungen gewohnt war. Ich muss präziser Schauen. Beim Abgleichen der übergeordneten Begriffe mit denn darunter stehenden Texten merke ich, dass oft nur lose Bezüge bestehen. Ein anderer, tieferer Sinn muss in dem ganzen Verborgen sein. Der rote Faden, die Botschaft ist nicht offensichtlich, nicht einfach für jede dahergelaufene, unvorbereitete Ausstellungsbesucherin wie mich zu erfassen! Wie begeben sich andere Besucherinnen auf diese Schnitzeljagd, wie eigenen sie sich diese Pflanzen-, Tiere-, Steine-, Kunsthandwerksobjekte-Spuren an, wundere ich mich und beobachte. Da komme ich auf neue Wege!
„da Fredl oawat nima in da Tischlarei“
Zwei ältere Damen schleichen von Objekt zu Objekt, beugen sich über Vitrinen, rücken ihre Brillen zurecht um die Beschriftungen zu entziffern. Da kommen sie zu einer Bauerntruhe. „Woastas scho, das da Fredl jetzt nimma in da Tischlerei is, er oawat jetzt wos min computer.“ sagt die eine zur anderen.
Schlagartig wird mir eine Intention der Ausstellungsmacher klar! Wie Schuppen fällt es mir von den Augen! Und ihr Konzept – es geht auf! Die von ihnen wahllos ausgestreuten Spuren – wie konnte ich sie leichtsinnig als „Kraut und Rüben“ bezeichnen – in Form von Objekten, Texten und Bildern sollen die Besucherinnen zu eigenen Geschichten, zur selbständigen und individuellen Aneignung der Ausstellung verführen. Und – es funktioniert. Die Dame sieht eine Holztruhe und ihr Verwandter, der Fredl, der jetzt keine Holzmöbel mehr produziert, kommt ihr in den Sinn.
Ganz dem großen Vorbild der Tate Modern, London, verstehen die Ausstellungsmacher die Ausstellung als Sozialraum. Es geht ihnen gar nicht um die präsentierten Objekte und ihre Kontextualisierung. Es geht ihnen nicht um die Geschichte der Region! Sie verstehen den Ausstellungsraum als Sozialraum, als öffentlichen Raum, in dem jede / jeder dazu aufgefordert ist, seine eigenen Geschichten zu finden und anderen zu erzählen.
Jetzt verstehe ich, dass es keinen erörternden Ausstellungstext am Eingang der Räume braucht, dass es keinen Zusammenhang geben muss zwischen den Saaltexten und den präsentierten Objekten. Und es ist auch klar, warum die Größe der Schrift so klein ist, wie sie ist – sie will nicht gelesen werden.
Jetzt ist mir auch klar, warum auf das barocke, unter Denkmalschutz stehende Gebäude überhaupt nirgendwo etwas zu lesen ist. Der Ort ist irrelevant. Die Objekte sind irrelevant. Es geht nur darum, dass man mit anderen Menschen ins Gespräch kommt – dazu können alle Objekte anregen und es kann in jedem Raum sein.
Jetzt wundern mich die vielen Begriffe, die Fachausdrücke, deren Kenntnis angenommen wird, nicht mehr. Es ist irrelevant sie zu lesen.
Und ich hatte bereits mehrere kuratorische Verschwörungsszenarien angedacht.
Ich fragte mich, ob sich das wissenschaftliche Team der Ausstellung von den wiedereröffneten Räumen im Kunsthistorischen Museum Wien inspirieren hat lassen. Liegt der Landessausstellung 2013 das Konzept einer Kunst und Wunderkammer zugrunde?
Vielleicht folgen die Ausstellungsmacher auch dem neuen, derzeit in Mode kommenden Ansatz, dass nicht fertige, in sich abgeschlossenen Narrationen und Objektsammlungen ausgestellt werden, sondern die Ausstellung im Entstehungsprozess gezeigt wird. Vielleicht folgten sie dem Konzept, nach dem ersten Brainstorming und Mindmapping zum Ausstellungsthema einen Schlussstrich zu ziehen und aus dem gerade erarbeiteten direkt eine Ausstellung zu machen. Mutig!
Ich sinniere, ob es möglich wäre, dass die Direktion Kultur des Landes Oberösterreich an einer europaweiten soziologischen Studie teilnimmt in der es um die Fähigkeit von Menschen in stark ländlichen Regionen, sich in komplexen hochwissenschaftlichen Ausstellungen zurechtzufinden. Vielleicht soll so überprüft werden, ob die Bemühungen des European Regional Development Found schon merkbare Früchte tragen.
Kurz habe ich überlegt, wer mit wem ein Stillschweige- und So-tun-als-ob-Abkommen geschlossen hat, sodass eine derart beliebige Zusammenschau von Objekten und Texten als Landesausstellung unter das Volk gebracht werden kann.
Wer sucht, der findet: alte Wege neue Spuren!
Da bleibt viel Gedankenspielraum für eigene Geschichten, Interpretation und neue Wege zwischen den Alten Spuren!